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Erinnerungen schwappen hoch Fünf Jahre nach der Oderflut: Ortsbesuch in der Ziltendorfer Niederung

Idyllisch liegt die Ziltendorfer Niederung in sattem Grün. Die letzten Spuren des 97-er Hochwassers, als die Senke einem großen See mit 5000 Hektar Fläche glich, hat die Natur längst weggewischt. Die Straßen zwischen Aurith, Kunitzer Loose und der Thälmann-Siedlung (Oder-Spree) wurden frisch asphaltiert, die Häuser Gehöfte hinter dem Oderdeich wirken wie aus dem Ei gepellt.

Auch bei Günther und Lieselotte Brettner leuchtet die Fassade des 130 Jahre alten Siedlungshäuschens in Kunitzer Loose in frischem Gelb. Während Frau Brettner im Vorgarten werkelt, ist der Hausherr mit Sohn Hartmut dabei, Gitter gegen Schwalbennester unterhalb der Dachrinne anzubringen. „Die Vögel versauen mir die ganzen Außenwände“, schimpft der 72-Jährige. Schwalben statt Wasserfluten erhitzen fünf Jahre nach der Oderflut die Gemüter.

Dennoch kehren in diesen Tagen die Erinnerungen zurück, bekennt die frühere Postfrau Lieselotte. Sie weiß noch genau, was sie fühlte, als sie nach dem Evakuierungsbefehl am 22. Juli ihr geliebtes Geburtshaus verlassen musste. „Das Schlimmste war das Warten“, sagt die Rentnerin. Auf das prognostizierte Unglück mussten Brettners nicht lange warten. Einen Tag nachdem sie mit den beiden Hunden und wenigen Habseligkeiten bei Sohn Hartmut in Wiesenau Zuflucht gefunden hatten, brach der Deich. Jeden Tag war der Rentner mit Sohn Harald per Boot zu seinem Gehöft geschippert, um nach dem Rechten zu sehen und schließlich auch noch die 30 Hühner einzusacken, die zunächst auf den Heuboden evakuiert wurden.

Doch die Oder kroch ins Haus. „Diesen Anblick von der stinkenden Brühe in den Zimmern und dem darin herumschwimmenden Hausrat werde ich nie vergessen“, schüttelt die 71-Jährige den Kopf. Dem ersten Schock folgte die schiere Verzweiflung. Wie und wovon sollte das Rentnerpaar die immensen Schäden bezahlen? Wieder mussten sie warten, bis Wege passierbar wurden und die in Aussicht gestellten Millionenspenden aus ganz Deutschland verteilt wurden. Brettners haben es geschafft.

Auch Familie Eger dachte zunächst ans Fortgehen. „Wir haben innerhalb eines Jahres praktisch zweimal gebaut“, meinen die einstigen Eisenhüttenstädter. Ihr hölzernes Fertigteilhäuschen im Stil eines Österreicher Bauernhauses ist inzwischen zu einer Attraktion geworden. Da die untere Etage durch die Flut völlig ruiniert, alle Holzbalken verquollen, die Gipszwischenwände vollgesogen waren, setzten Egers ihr von der Flut verschontes Obergeschoss auf einen drei Meter hohen Betonsockel. Auf ebener Erde befinden sich jetzt Keller und Garage. „Wenn die Oder mal wieder ihr Bett verlässt, kann sie bei uns keinen großen Schaden mehr anrichten“, hofft Lehrerin Ute Eger, die während und nach der Katastrophe in psychologischer Behandlung war und nicht mehr gern über ihre Hochwasser-Erinnerungen spricht.

Vor der Kneipe „Zur alten Fähre“ gleich am Oderdeich in Aurith brechen Wanderer auf. Gastwirt Heinz Blümel räumt das Geschirr vom Tisch. „Kaum zu glauben, dass die Oder auch anders kann“, sagt er angesichts des extrem niedrigen Wasserstandes.

Im Sommer vor fünf Jahren stand die Flut schon einen halben Meter hoch in den Gasträumen, da schenkte Blümel noch unentwegt Kaffee aus, macht Bockwürste heiß und zapfte Bier. Die Fotos, auf denen der Kneiper mit entschlossenem Gesichtsausdruck hinter einem Sandsackwall seiner Eingangstür dem Hochwasser trotzt, um die vor Ort kämpfenden Helfer vom Technischen Hilfswerk, vom Bundesgrenzschutz, von der Bundeswehr sowie aus Aurith selbst zu versorgen, machten Blümel deutschlandweit bekannt.

Von Neid und Missgunst, die bei der möglichst gerechten Geld die Hochwassergeschädigten der Ziltendorfer Niederung befiel und zuvor befreundete Nachbarn zu Feinden werden ließ, will heute keiner mehr sprechen. Auch Gastwirt Blümel, der stark hochwassergeschädigt war, zuckt nur mit den Schultern. „Das größte Übel war die Bürokratie vor, während und nach der Katastrophe“, konstatiert er.

JEANETTE BEDERKE
MÄRKISCHE ALLGEMEINE 23. Juli 2002

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